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Nicht überall läuft der Ramadan so konfliktfrei ab, wie in der Suleymanie-Moschee in Istanbul.

Foto: AP/dapd

Istanbul - In vielen Städten und Dörfern der Türkei gehören sie traditionell zum Fastenmonat Ramadan: Männer mit großen Trommeln und kräftigen Stimmen, die in den frühen Morgenstunden durch die Straßen ziehen und die Gläubigen lange vor Sonnenaufgang wecken, damit sie das Ramadan-Frühstück - die einzige Mahlzeit bis Sonnenuntergang - nicht verschlafen.

Auch Mustafa Evsi hatte sich in seinem südostanatolischen Heimatort Sürgü in diesem Jahr als Ramadan-Trommler gemeldet. Doch nun steht der 25-Jährige plötzlich im Zentrum eines Skandals, der Politiker und Religionsvertreter in Ankara zutiefst beunruhigt und sogar im Kabinett diskutiert wurde. Evsi soll maßgeblich an einem Vorfall beteiligt gewesen sein, der religiösen Hass türkischer Sunniten auf die Aleviten schürte. Deshalb sitzt er seit einigen Tagen in Untersuchungshaft.

Trommeln sorgte für Unmut

Bis zu 20 Millionen der 75 Millionen Türken gehören der muslimischen Glaubensrichtung der Aleviten an, die nicht fasten und nicht in der Moschee beten. Die Aleviten betrachten ihren Glauben als eigene Religion und fühlen sich schon lange von der sunnitischen Mehrheit unterdrückt, umgekehrt betrachten viele Sunniten die Aleviten mit Misstrauen. In Sürgü schlug dieses Misstrauen jetzt in Gewalt um.

Alles fing damit an, dass die alevitische Familie Evli den Ramadan-Trommler Evsi vergangene Woche aufforderte, vor ihrem Haus das Trommeln sein zu lassen: Da die Evlis nicht fasten, fühlte sich die Familie in ihrer Nachtruhe gestört. Es gab Streit, der Trommler sagte aus, er sei von den Aleviten tätlich angegriffen worden. Allerdings soll er weiter getrommelt haben, obwohl ihn die Evlis gebeten hatten, damit aufzuhören.

Relativ unumstritten sind die Ereignisse, die sich einen Tag später vor dem Haus der Evlis abspielten. Ein Mob aus rund 150 Sunnis bewarf das Haus mit Steinen, stieß Drohungen aus und forderte die alevitische Familie auf, das Dorf zu verlassen. "Sie kamen, um uns zu töten", sagte Leyla Evli später. Soldaten der herbeigerufenen Militärpolizei konnten die wütende Menge nur mit Warnschüssen in die Luft zerstreuen. In einem Zeitungsinterview hetzte Trommler Evsi einige Tage später weiter und rückte die Aleviten in die Nähe von Vaterlandsverrätern, weil sie nicht fasten wollten. Die Familie müsse aus Sürgü verschwinden, betonte er. Die Staatsanwaltschaft erwirkte einen Haftbefehl gegen ihn.

Kein Einzelfall

Dass die Auseinandersetzung in einem kleinen Provinznest seitdem die Titelseiten der Zeitungen dominiert und bei der Politik in Ankara die Alarmglocken klingeln lässt, liegt daran, dass andere Vorfälle dieser Art in der Türkei schon in Massaker mündeten. So starben 1993 bei einem Brandanschlag sunnitischer Extremisten auf eine alevitische Versammlung im zentralanatolischen Sivas 37 Menschen.

Sürgü war kein Einzelfall, sagt deshalb Vedat Kara von der Haci Bektas Veli Anadolu Kültür Vakfi, einer der größten alevitischen Organisationen des Landes. "Es ist dasselbe Muster, das wir vor Sivas auch beobachteten." Die Opposition in Ankara erklärte, es habe sich nicht um einen spontanen Wutausbruch, sondern um eine organisierte Hass-Aktion gehandelt. Das staatliche Religionsamt, die Leitungsinstanz des sunnitischen Islam in der Türkei, zeigte sich besorgt über religiöse Spannungen im Land.

Wahltaktik

Nur die Regierung in Ankara hielt sich auffallend zurück. Regierungssprecher Bülent Arinc mahnte die Medien, sie sollten den Fall nicht aufbauschen. Es gebe keinerlei Hinweise auf große Konflikte zwischen Sunnis und Aleviten im Land. Die Regierung spielt das Ereignis aus einem konkreten Grund herunter: Angesichts der Kämpfe zwischen Sunniten und Aleviten im benachbarten Syrien will Ankara ähnliche Eskalationen in der Türkei unbedingt verhindern.

Doch Aleviten-Vertreter Kara wirft der von frommen Sunniten dominierten Regierung in Ankara vor, aus wahltaktischen Gründen den Graben zwischen Sunnes und Aleviten zu vertiefen und damit das Klima für Auseinandersetzungen zu fördern. Die Regierungspartei AKP wolle möglichst viele sunnitische Wählerstimmen auf sich vereinigen (Susanne Güsten/APA, 3.8.2012)